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Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Der erste abendfüllende Animationsfilm der Filmgeschichte

Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Deutschland 1923-26 - Drehbuch und Regie: Lotte Reiniger - Kamera: Carl Koch - Design und Animation: Lotte Reiniger - Mitarbeit: Walther Ruttmann, Berthold Bartosch, Alexander Kardan, Walter Türck - Musik: Wolfgang Zeller (Originalkomposition für Orchester ) - Produktion: Comenius-Film Berlin/Louis Hagen - Länge: 66 Min. s/w und Farbe

Der Silhouettenfilm basiert auf Motiven aus "1001 Nacht" und erzählt von der abenteuerlichen Reise des Prinzen Achmed, die am Hofe des großen Kalifen beginnt.
Am Tag, als der Geburtstag des großen Kalifen zelebriert wird, erscheint ein Fremder in der Stadt und stellt sein Wunderwerk vor: ein Pferd, das durch die Lüfte fliegen kann. Der Kalif möchte dieses Zauberpferd unbe­dingt besitzen, aber als Gegengabe soll er seine schöne Tochter Dinarsade dem Hässlichen zur Frau geben. Das erzürnt Dinarsades Bruder Achmed, doch der Zauberer versteht es, den Prinzen auf das Pferd zu locken. So beginnt Achmeds Reise hinauf zu den Sternen. Endlich entdeckt Achmed den Hebel, der das Pferd abwärts treibt, und lan­det auf der Insel Wak-Wak. Hier lebt die schöne Pari Banu, in die sich Prinz Achmed auf den ersten Blick verliebt und die er entführt. Inzwischen sinnt der Zauberer in der Stadt des Kalifen auf Rache, und schon bald gelingt es ihm ein zweites Mal, dem Prinzen übel mitzuspielen. Er raubt Pari Banu und bietet sie dem Kaiser von China an. Da sie jedoch all seine Annäherungsversuche zurückweist, soll sie zur Strafe mit dem buckligen Hofnarren verheiratet werden. Der nimmermüde Zauberer hat den Prinzen Achmed derweil in eine öde Gegend verschleppt. Doch dort, in einem gewaltigen Felsen, haust die gute Hexe von Flammenberg. Sie ist die Feindin des Zauberers und eilt mit Achmed zum Hof des Kaisers, wo er seine geliebte Pari Banu retten kann.
Bald taucht neues Unglück auf: Die Dämonen von der Zauberinsel Wak-Wak fordern ihre geraubte Herrin zurück und abermals wird Pari Banu entführt. Die Tore von Wak-Wak schließen sich vor dem unglücklichen Prinzen und werden sich nur demjenigen öffnen, der die Wunderlampe Aladins besitzt.
Auf märchenhafte Weise trifft Prinz Achmed vor den Toren auf Aladin und befreit ihn aus den Klauen eines krakenhaften Ungeheuers. Während er Aladins aufregende Geschichte erfährt, stürzt die Hexe herbei mit der Nachricht, dass Pari Banu von den erzürnten Dämonen gepeinigt werde. Achmed und Aladin sind verzweifelt, denn ohne die Kraft der Wunder­lampe, die sich mittlerweile in der Hand des Zauberers befindet, können sie nicht nach Wak-Wak gelangen. Es kommt zum entscheidenden Kampf und schließlich besiegt die gute Hexe den bösen Zauberer. Mit der Wunder­lampe dringen Achmed, Aladin und die Hexe in Wak-Wak ein. Es gelingt ihnen, Pari Banu aus den Fängen der wilden Dämonen zu befreien, und am Ende kann der trauernde Kalif seine Kinder überglücklich wieder in die Arme schließen.

Informationen zum Film

In dreijähriger Arbeit entstand der Silhouettenfilm, der als erster abendfüllender Animationsfilm in die Filmgeschichte einging: Lotte Reiniger schrieb das Storyboard, schnitt die Figuren und Hintergründe und bewegte sie, assistiert von Alexander Kardan und Walter Türck, ihr Mann Carl Koch hatte die Aufnahmeleitung und Kontrolle der Technik, Walther Ruttmann, Filmexpressionist und Regisseur (u.a. "Berlin, Symphonie einer Großstadt"), gestaltete die fantastischen Bewegungen im Kampf der Dämonen von Wak-Wak, der Experimentalfilmer Berthold Bartosch die Wellenbewegungen für den Seesturm. Bedenkt man, dass für eine Sekunde 24 Einzelaufnahmen nötig sind, so kann man ermessen, welche Leistung hinter dem ersten abendfüllenden Animationsfilm der Filmgeschichte steht. Im ganzen wurden etwa 250.000 Einzelbilder aufgenommen, 100.000 für den Film verwendet.

Wolfgang Zeller, später vielbeschäftigter Filmkomponist ("Ehe im Schatten", "Serengeti darf nicht sterben"), schrieb in engem Kontakt mit Lotte Reiniger eine symphonische Musik zum Film, die live auf­geführt wurde.

Die erste Vorführung fand am 2. Mai 1926 als Matinee-Vorstellung (hauptsächlich für geladene Gäste wie Regisseure, Produzenten und Kollegen aus der Film- und Theaterbranche) in der Berliner Volksbühne am Bülowplatz statt. Von dieser Uraufführung geben zwei zeitgenössische Filmkritiken Zeugnis:

Im Filmkurier vom 3.5.1926 heißt es: "Man ist im Film an Silhouetten nicht gewöhnt. Also wird man anfangs ein bisschen ermüdet. Allmählich aber wird man gefesselt und immer mehr begei­stert, entzückt und entrückt."
Und in der Zeitung Vorwärts vom 9.5.1926 ist zu lesen: "Wenn man bedenkt, dass jede der agierenden Figuren in allen ihren Gelenken be­weglich sein muss ... so kann man sich ungefähr eine Vorstellung da­von machen, welch ein Wunderwerk hier geleistet ist. Aber auf das Technische allein kommt es ja nicht an, die Hauptsache ist, dass der Geist des Märchens hier in der filmischen Bilderfolge aufs Glücklichste neu geboren ist und dass die Welt orientalischer Wunder, fabelhafter Vorgänge und den Mitteln einer an türkischen und japanischen Vorbil­dern geschulten Silhouettenkunst neu geschaffen ist."

Eine glanzvolle Premiere des Films gab es - durch Vermittlung von Jean Renoir - im Juli 1926 in der Comédie des Champs-Elysées in Paris - und über diesen Umweg kam "Prinz Achmed" nach Berlin ins Kino, wo er im September 1926 im Gloria-Palast zu sehen war.

"Prinz Achmed" hat eine wechselvolle Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg ging das Negativ des Films verloren. 1989 wurde der Film vom Deutschen Filmmuseum Frankfurt restauriert. Ausgangsmaterial dafür war ein neues 16mm-Negativ, das der Filmproduzent Louis Hagen jun./ Primrose Film Productions in London 1954 von dem damals einzigen erhaltenen Filmpositiv hatte herstellen lassen. Für die 16mm-Kopie von 1989 wurden die verschollenen deutschen Zwischentitel in zeitgenössischer Schrift rekonstruiert und eine überarbeitete Farbversion angefertigt. Auf der Tonspur dieser Kopie (und auch auf den danach hergestellten Videos) erklingt die Musik des englischen Komponisten Freddie Phillips, gespielt von einem kleinen Ensemble.

Der 100. Geburtstag von Lotte Reiniger im Jahr 1999 war Anlass, noch einmal zu recherchieren. Das Ergebnis war die Neuanfertigung einer 35mm-Filmkopie in Kooperation vom Deutschen Filmmuseum Frankfurt und ZDF/Arte. Die neue 35mm-Kopie (stumm) unterscheidet sich in der Farbgebung (aufgrund der Angaben der aufgefundenen Nitrokopie), ist um einige Zwischentitel (nach der Zensurkarte vom 15.1.1926) ergänzt worden, hat insgesamt neu gestaltete Zwischentitel und die ursprüngliche Einteilung in fünf Akte (siehe Informationen zur Restaurierung).
Die restaurierte Fassung wurde 1999 im deutsch-französischen Kulturkanal Arte ausgestrahlt; außerdem in einem "Zeitfenster" direkt zum 100. Geburtstag am 2. Juni 1999 im BR. Die allererste bundesweite TV-Ausstrahlung des lange schlummernden "Prinz Achmed" gab es im Jahre 1990 im ZDF.

Auf der DVD des restaurierten Films können zwei Musikversionen gewählt werden: zum einen die Einspielung der Originalmusik von Wolfgang Zeller durch das Deutsche Filmorchester Babelsberg und zum anderen eine Neufassung, die das Schweizer Ensemble "I Salonisti"(zwei Violinen, Cello, Kontrabass und Klavier) 2005 eingespielt hat. Ausführliche Informationen zur Filmmusik enthält das umfangreiche Booklet der DVD "Die Abenteuer des Prinzen Achmed".

Im März 2018 brachte absolut Medien in Zusammenarbeit mit ARTE Deutschland die erstmals in HD restaurierte Blu-ray mit neu eingespielter Musik heraus - neu insofern, als die Zellersche Originalmusik in einer "luftigeren" Kammerensemble-Fassung (Bearbeitung: Jens Schubbe) vom MDR-Sinfonieorchester unter Leitung von Frank Strobel aufgenommen wurde, der bereits eine Aufführung in der Komischen Oper Berlin im November 2017 vorausgegangen war. Als neue Musikspur hinzugekommen ist die Live-Elektronik-Vertonung der Brüder Andi und Hannes Teichmann & Leo Hurt an der Zither, die bereits mehrfach live aufgeführt wurde. Seit 2018 ist diese Fassung auch auf Blu-ray und auf der DVD erhältlich.

Gleichwohl inspiriert Lotte Reinigers Filmkunstwerk auch immer wieder zu den verschiedensten musikalischen Live-Begleitungen - skizziert oder improvisiert, mit einem oder mehreren Instrumenten, klassisch, experimentell, arabisch Klänge - das Spektrum der Klänge ist vielgestaltig und immer wieder überraschend.

Im Rahmen von thematisch relevanten Ausstellungen hat "Prinz Achmed" ebenfalls sein Publikum, so war er z.B. im Kunstforum Wien ("Orient Lounge") zu sehen, in Hamburg bei der Werner Nekes Ausstellung im Kommunalen Kino Metropolis, im Kindermuseum Bremen in der Mitmachausstellung "Gestatten, ich bin dein Schatten!", in der Ausstellung "Bildschnitte für Batavia" im Staatlichen Museum Schwerin, im Klingenmuseum Solingen ("Geschichte des Scherenschnitts"), im StadtMuseum Bonn ("Mitten aus dem Leben - Scherenschnitte von Anneliese Dick") und im Jahr 2011 im Pergamon Museum / Museum für islamische Kunst, Berlin (Sonderausstellung zum persischen Epos "Schahname").

"Prinz Achmed" als Mittler zwischen Orient und Okzident - Aus einer Filmkritik

Anlässlich der Filmaufführung am 10. Oktober 2003 im Opernhaus Kairo/Ägypten mit der Originalmusik von Wolfgang Zeller (Bearbeitung: Gerhard Müller-Hornbach), gespielt vom Symphonie Orchester Kairo unter Leitung von Frank Strobel, erschien in der Zeitschrift "Mayo" unter dem Titel "Die Abenteuer des Prinzen Achmed - eine Verkörperung des Dialogs der Zivilisationen" ein ausführlicher Artikel über die Veranstaltung, in dem es u.a. heißt: "Das Publikum im großen Saal des Opernhauses klatschte laut, ausdauernd und von Herzen für nahezu zehn Minuten in einer Atmosphäre, die vom Zauber des Orients und von der Technik des Okzidents durchdrungen war. Vielleicht war dies der größte Beweis dafür, dass der Dialog der Zivilisationen und ihre Vermischung hervorragende Künste und Wissenschaften hervorbringt. ... Obwohl der Film eine Pionierleistung ist, ging doch das Publikum wegen seines hohen historischen Wertes auf ihn ein, als ob er auf die Gegenwart zugeschnitten wäre, denn er zeigt den Blick des Westens auf den Osten in einer Weise, die keine Bigotterie enthält, sondern die Eigenheiten des Anderen respektiert, die legendären Elemente des Orients hervorhebt und deutlich macht, in welchem Maße die Menschen im Westen die Besonderheiten des Lebens im Orient in all seinen Details und Eigenheiten studiert und verstanden haben." (Izza Saad, Mayo, 12.10.2003)

Auszeichnungen

Von der Online Film Critics Society (2003) wurde "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" als einziger deutscher Animationsfilm unter die "100 besten programmfüllenden Trickfilme aller Zeiten" gewählt. Nach einer Umfrage des Verbunds der deutschen Kinematheken (1995) zählt Lotte Reinigers "Prinz Achmed" zu den 100 wichtigsten deutschen Filmen.

Christel Strobel


Informationen zur Verfügbarkeit des Silhouetten-Animationsfilms "Die Abenteuer des Prinzen Achmed"

Restaurierte Filmkopie 35mm (stumm)
Verleih: Deutsches Filminstitut Wiesbaden (DIF) - Filmarchiv
E-Mail-Adresse:

Filmrechte für öffentliche Aufführungen:
Christel Strobel, Agentur für Primrose Film Productions
E-Mail-Adresse:

Aufführungsrechte für Film&Musik-Aufführungen mit der
Originalkomposition von Wolfgang Zeller:
Europäische FilmPhilharmonie GmbH, Beate Warkentien
E-Mail-Adresse:

DVD und Blu-ray (mit Musikeinspielungen): www.absolutmedien.de